Beratungstelefon: 0521 - 442998

10.02.2022

Carina Kühne: “Ich liebe mein Leben”

Für die Ausgabe 114 der MITTEILUNGEN sprachen wir mit Carina Kühne über das Thema Liebe und die Rechte erwachsener Menschen mit Trisomie 21. Die Schauspielerin ist auch in den Sozialen Medien eine bekannte Aktivistin. Hier ist uns ein Satz von ihr unter die Haut gegangen, den sie im Zusammenhang mit dem Pränatal-Test sagte: “Es ist wirklich kein schönes Gefühl, zu wissen, dass Menschen wie ich nicht gewollt werden.”

Illustratives Bild

Foto: Conny Wenk

AKDS: Sie haben diesen Satz schon häufiger gesagt. Diesmal beziehen Sie sich auf den Pränatal-Test, der seit dem 1. Juli 2021 eine Kassenleistung ist. Ist das die Botschaft, die Sie aus dieser politischen Entscheidung entnehmen?

Carina Kühne: Ja, genau, ich muss immer daran denken, dass Menschen wie ich in der Hitlerzeit vergast wurden. In dem Film »Werk ohne Autor« von Florian Henckel von Donnersmarck zum Beispiel bin ich in einer Szene auf dem Weg in die Gaskammer zu sehen. Das war zwar nur gespielt, aber es ist doch eine sehr beklemmende Situation. Viele Menschen meinen zwar, dass diese Situation mit dem Pränatal-Test nicht vergleichbar ist. Aber für mich heißt es, dass Trisomie 21 heute genauso wie damals ein Grund ist, ausgesondert zu werden. Der Unterschied ist nur, dass diese Kinder damals noch auf die Welt kommen durften. Heute werden sie fast alle schon im Mutterleib getötet und das finde ich sehr schlimm und traurig.

AKDS: Sie sind ein gutes Beispiel für ein glückliches und erfülltes Leben als Frau mit Trisomie 21. Dazu fällt mir ein anderer Satz von Ihnen ein: “Ich bin ein sehr interessierter Mensch und lebe sehr gerne.” Vielleicht sagen Sie einfach einmal, warum Sie gerne leben.

“Mein Leben ist sehr abwechslungsreich, ich bin viel unterwegs und lerne viele Menschen kennen.”

Carina Kühne: Entgegen der Meinung vieler Fachleute habe ich lesen, schreiben und rechnen gelernt und einen Schulabschluss gemacht und kann auch Klavier spielen und tauchen. Durch all das, was ich lernen konnte und durfte, habe ich sehr viel Freude am Leben. Mein Leben ist sehr abwechslungsreich, ich bin viel unterwegs und lerne viele Menschen kennen. Es gibt so viele schöne Erlebnisse und Dinge, die einen freuen. Dazu gehört natürlich auch mein Hund Berry.

AKDS: Was würden Sie werdenden Eltern sagen, die Angst davor haben, ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt zu bringen? Was könnte sie ermutigen, vielleicht auf einen Pränatal-Test zu verzichten?

Carina Kühne: Ich würde mir wünschen, dass diese werdenden Eltern Kontakt zu Menschen mit Down-Syndrom und ihren Familien aufnehmen und uns kennenlernen, bevor sie sich gegen ihr Kind entscheiden. Dieser Test ist leider besonders bei jungen Frauen öfter falsch positiv und außerdem gibt selbst ein negativer Test keine Sicherheit. Es gibt nämlich noch viele andere Gründe für ein Leben mit Krankheit und Behinderung, die mit diesem Test nicht ausgeschlossen werden können. Die meisten Behinderungen oder Krankheiten erwirbt man sowieso meist erst irgendwann im Laufe des Lebens, zum Beispiel durch einen Unfall. Fast alle Menschen mit einer Trisomie 21 leben gerne und ihre Familien sind glücklich.

AKDS: Sie bereichern die Welt nicht nur als Schauspielerin, Aktivistin, Speakerin oder Bloggerin. Sie sind auch Tochter, Schwester und Freundin.

Carina Kühne: Ja, ich habe einen Bruder, der acht Jahre älter ist als ich. Im Oktober waren wir zwei Wochen zusammen auf einem Tauchurlaub in Ägypten. Wir hatten eine sehr schöne Zeit. Im kommenden Jahr planen wir sogar eine Tauchsafari.

AKDS: Hätten Sie sich als junges Mädchen vorstellen können, einmal Schauspielerin zu werden?

Carina Kühne: Den Wunsch hatte ich schon lange, aber eigentlich habe ich es nicht für möglich gehalten. Ich wäre auch gerne Erzieherin oder Arzthelferin geworden. Meine Mutter konnte sich das nie vorstellen. Als ich noch klein war, kamen manchmal Anfragen vom Fernsehen, man wollte mich filmen. Meine Mutter wollte das aber nie. Erst als ich älter war und selbst entscheiden wollte und konnte, hat es sich geändert. Mir gefiel es, vor der Kamera zu stehen. Meine Tante hat mich dabei auch immer sehr unterstützt. Sie hat an mein Talent geglaubt. Inzwischen freut sich natürlich meine ganze Familie mit mir, wenn ich erfolgreich bin.

AKDS: Sie sind für viele junge Frauen mit Down-Syndrom ein Vorbild. Sind Sie selbst stolz auf sich?

Carina Kühne: Ich finde immer, dass Stolz auch etwas mit Überheblichkeit zu tun hat. Aber ich bin sehr dankbar und freue mich, dass ich diesen tollen Beruf ausüben kann. Für mich ist es der schönste Beruf der Welt.

AKDS: Ich gehe davon aus, dass Ihre Erfolge Sie selbstbewusster gemacht haben. In den Sozialen Medien habe ich nun ebenfalls gelesen, dass Sie Ihre Leidenschaft für das Tauchen entdeckt haben. Das ist sicherlich ebenfalls sehr gut für das Selbstbewusstsein, oder?

“Lasst euch nicht einreden, dass ihr etwas nicht könnt!”

Carina Kühne: Als Mensch mit Down-Syndrom bekommt man oft zu hören: “Du kannst das nicht können, du hast ja das Down-Syndrom!” Bei meinem Tauchlehrer war das anders. Er meinte: “Du machst das toll und kannst schon alle Übungen für einen OWD. Du kannst bei mir einen Tauchschein machen. Wir fangen jetzt mit der Tauchtheorie an und dann machst du deine Prüfung!” Das hat mir Mut gemacht und ich habe meinen Open-Water-Diver auf Anhieb geschafft. Dann habe ich noch eine Zusatzausbildung als Special-Needs-Dive-Buddy gemacht und kann jetzt auch Menschen mit Behinderung beim Tauchen lernen anleiten und sie unterstützen. Das gibt mir Sicherheit und macht mir viel Spaß. Eine ganz tolle Erfahrung für mich war es, im Blue Hole (Dahab), dem weltweit gefährlichsten Tauchplatz, abzutauchen.

AKDS: Welche Tipps können Sie anderen Frauen oder jungen Menschen mit Down-Syndrom geben, damit diese selbstbewusster werden.

Carina Kühne: Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen, lasst euch nicht einreden, dass ihr etwas nicht könnt! Meine Devise lautet: “Einfach machen!” Wenn ihr etwas wirklich wollt, dann schafft ihr das auch. Menschen mit einer Trisomie gehören nämlich einfach dazu und können auch etwas leisten. Manchmal werde ich gefragt, ob Leistung wichtig ist. Ich finde schon! Jeder soll das leisten dürfen, was seinen Fähigkeiten entspricht. Wenn man etwas kann, macht es Mut und gibt Selbstbewusstsein.

Carina Kuehne - Foto Conny Wenk
Carina Kühne, geboren 1985 in Berlin, hat 2014 in dem Film “Be my Baby” die Hauptrolle gespielt und hatte danach Arrangements in Serien wie Der Bergdoktor und In aller Freundschaft. Sie schreibt ein Blog, in dem sie sich für Menschen mit Down-Syndrom und mehr Inklusion einsetzt.

Portraitfoto: Conny Wenk – Redaktion: wort + !idee

 

Thema: | 10.02.2022 |

↑   Zum Seitenanfang   ↑

Termine 2025