Die Einführung der Grundrente: Ein sozialpolitischer Meilenstein?
Nach jahrelangen Diskussionen über die bessere Absicherung von Geringverdienenden mit langen Rentenversicherungsbiografien wurde im Jahr 2021 die sogenannte „Grundrente“ eingeführt. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, bezeichnete dieses Gesetz als einen „sozialpolitischen Meilenstein“. Doch was macht diese neue Regelung so bemerkenswert?
Was ist die Grundrente?
Die Grundrente ist kein eigenständiger Rententyp, sondern ein Zuschlag zur individuellen Rente, abhängig von der Versicherungsbiografie und den übrigen Alterseinkommen. Diese Regelung ist komplex und für die Begünstigten kaum nachvollziehbar oder planbar. Die Verwaltungskosten sind außergewöhnlich hoch, was zu einer verzögerten Umsetzung von etwa zwei Jahren führte. Im Einführungsjahr kostete die Grundrente die Rentenversicherung geschätzte 1,3 Milliarden Euro – im Vergleich zu anderen Projekten wie der Mütterrente oder der abschlagsfreien vorzeitigen Rente nach 45 Beitragsjahren ein relativ geringer Betrag.
Was macht eine Grundrente aus?
Grundrentensysteme zeichnen sich im Allgemeinen dadurch aus, dass eine vorleistungsunabhängige Rente gezahlt wird. Beispiele hierfür finden sich in den Niederlanden und Dänemark. In den Niederlanden erhalten Menschen, die 50 Jahre im Land gelebt haben, die volle Grundrente, die aktuell bei Alleinlebenden 70 Prozent des Nettomindestlohns beträgt. In Dänemark erreicht man nach 40 Jahren die volle Grundrente, die jedoch einkommensgeprüft ist.
Die deutsche Grundrente: Keine echte Mindestrente
Die deutsche Grundrente unterscheidet sich von diesen Modellen, da keine Mindestbeträge garantiert werden. Stattdessen werden bestehende, relativ geringe Rentenansprüche durch Zuschläge erhöht. Ein Anspruch auf den Grundrentenzuschlag besteht ab 33 Jahren mit Grundrentenzeiten, der volle Anspruch ab 35 Jahren. Es gibt eine Einkommensprüfung, die auch das Einkommen von Partner*innen einbezieht. Die Umsetzung der Grundrente erfolgt fast vollautomatisch durch die Rententräger im Austausch mit der Steuerverwaltung, was Probleme der Nichtinanspruchnahme minimiert. Allerdings ist die verzögerte Einkommensprüfung problematisch, da das zu versteuernde Einkommen oft erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren vorliegt.
Nur jeder zweite Anspruchsberechtigte bekommt Grundrente ausgezahlt
Für das Jahr 2022 zeigen Geyer und Haan (2024), dass die Grundrente weniger Menschen erreicht hat als ursprünglich erwartet. Die Bundesregierung ging von rund 1,3 Millionen Begünstigten aus, tatsächlich waren es nur 1,1 Millionen. Darunter waren nur etwa 950 Tausend Altersrenten, da der Zuschlag auch bei Erwerbsminderungsrenten und bei Hinterbliebenenrenten gewährt wird. Damit lag der Anteil der Grundrentenzuschläge bei etwas über vier Prozent im Rentenbestand. Bei rund der Hälfte der Anspruchsberechtigten entfällt die Grundrente vollständig nach der Einkommensprüfung (Zuschlag von Null Euro). Ein Großteil der Begünstigten sind Frauen. Auch Ostdeutsche profitieren überproportional, dort bekommen auch viele Männer den Grundrentenzuschlag. Die durchschnittliche Höhe des Zuschlags lag 2022 bei monatlich 86 Euro. Wobei von diesem Betrag noch etwa 11 Prozent für die Sozialversicherung abgezogen werden müssen, so dass gut 76 Euro verbleiben.
Inzwischen liegen auch Daten für 2023 vor. Interessant ist, dass die Zahl der Beziehenden um etwa 200.000 gestiegen ist. Im Jahr 2023 gab es rund 1,3 Millionen Menschen, die eine Grundrente bezogen haben (entspricht einem Anteil von 4,9 Prozent). Davon waren 73 Prozent Frauen. Die Grundrente wurde überwiegend bei Altersrenten (87 Prozent), aber auch bei Hinterbliebenenrenten und Renten wegen Erwerbsminderung gezahlt. Warum es so einen deutlichen Anstieg zwischen 2022 und 2023 gab, lässt sich anhand der Daten des Statistikportals der Rentenversicherung nicht beantworten.
Der durchschnittliche Bruttozuschlag lag 2023 bei knapp 92 Euro pro Monat, wobei – wie oben erläutert – noch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie eventuell Steuern abzuziehen sind. Die Einkommensprüfung wirkt sich weiterhin deutlich aus: Ohne Einkommensprüfung hätten 2023 rund 2,6 Millionen Personen Anspruch auf einen Zuschlag gehabt. Bei gut der Hälfte (51 Prozent) führt der Einkommenstest dazu, dass kein Zuschlag gezahlt wird. Der Anteil ist bei Frauen mit knapp 55 Prozent deutlich höher als bei Männern, wo er etwas mehr als ein Drittel ausmacht. Der Unterschied lässt sich vor allem durch die höheren Einkommen von Männern im Paarkontext erklären und liegt ähnlich hoch wie 2022.
(Tatsächliche) Wirkung der Grundrente bislang ungeklärt
Bisher liegen keine Analysen vor, die die Wirkung der Grundrente auf das Einkommen nach ihrer Einführung umfassend – also auf der Haushaltsebene und im Zusammenspiel mit Grundsicherung und Wohngeld – untersuchen. Im Vorfeld der Einführung haben Geyer et al. (2020) anhand von Simulationsanalysen die Wirkung der Grundrente auf Altersarmut und Grundsicherungsquote untersucht. Sie zeigen, dass die Grundrente zu einem Anstieg der Grundsicherungsquote von etwa 30% aufgrund der neuen Freibetragsregelung führt. Das ist insofern ein wichtiger Befund, da damit die Interpretation der Zeitreihe der Grundsicherungsquote verändert wird. Gleichzeitig geht die Armutsrisikoquote um etwa zwei Prozentpunkte zurück. Dieser Effekt ist im Wesentlichen auf die Einkommensprüfung zurückzuführen. Der Aufschlag ist quantitativ zwar nicht sehr hoch, da er aber vor allem einkommensschwachen Haushalten zukommt, ist die relative Einkommensänderung von Bedeutung. Zudem liegen viele dieser Haushalte nahe an der statistischen Armutsrisikoschwelle, so dass auch kleine absolute Zuschläge zu messbaren Änderungen des Armutsrisikos führen.
Leistungsverbesserungen unter falschem Namen
Die 2021 eingeführte Grundrente hat einen irreführenden Namen und einige Schwächen in ihrer Ausgestaltung. Davon zeugt der enorme verwaltungstechnische Aufwand bei ihrer Einführung. Die Rentenversicherung hatte dabei erhebliche Probleme, da sie den kompletten Rentenbestand prüfen musste, und die Grundrente erst mit einer Verzögerung von etwa zwei Jahren komplett umsetzen konnte. Eine Stärke der Grundrente ist gleichzeitig eine wichtige Schwäche: die automatisierte Einkommensprüfung. So wird das Problem der Nichtinanspruchnahme vermieden. Das zeitliche Auseinanderfallen von Einkommensprüfung und Bedarf ist allerdings unglücklich. Noch wissen wir nicht, wie viele Menschen davon betroffen sind, etwa wenn Ihr Partner/Ihre Partnerin stirbt, sie aber bei der Einkommensprüfung so behandelt werden, als wäre sie/er noch am Leben. Hier sollte möglichst schnell geprüft werden, ob es alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten gibt (vgl. Nullmeier 2020). Zudem ist problematisch, dass Renten aus einer privaten oder betrieblichen Altersvorsorge als Einkommen auf die Grundrente angerechnet werden. So gibt es beispielsweise bei der Grundsicherung einen Freibetrag für dieses Einkommen, aber bei der Grundrente nicht. Auch die Förderlogik bei der Riester-Rente oder die Geringverdiener-Förderung in der betrieblichen Altersvorsorge passen nicht recht dazu, dass sich Einkommen aus diesen Quellen potenziell negativ auf die Grundrente auswirken könnten. Ähnlich problematisch ist, dass eigenes Erwerbseinkommen nach Renteneintritt auf die Grundrente (mit einer Verzögerung von zwei Jahren) angerechnet werden könnte. In Zeiten, in denen über erleichterte Bedingungen der Weiterarbeit nach Renteneintritt nachgedacht wird, wäre auch diese Regelung zu überdenken.
Man sieht der Grundrente deutlich an, dass sie Ergebnis eines Kompromisses zwischen SPD und CDU ist und ihre Umsetzung einige widersprüchliche Elemente in sich trägt. Sie soll die Lebensleistung bei langer Versicherungsbiografie honorieren und gleichzeitig ist sie einkommensgeprüft. Sie soll die Lebensleistung belohnen, aber eigene Sparanstrengungen oder Erwerbsarbeit im Rentenalter können sich negativ auf die Grundrente auswirken. Sie soll geringes Einkommen aufwerten, aber ein Teil der Geringverdienenden geht leer aus, da er nicht die erforderlichen 0,3 Entgeltpunkte erzielt. Der Zuschlag setzt zudem an den erzielten Entgeltpunkten an und nicht an einem niedrigen Stundenlohn, was die Zielgenauigkeit schmälert.
Trotz dieser Kritikpunkte, die viele Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung der Grundrente beinhalten, muss man konstatieren, dass die Rentenpolitik im unteren Einkommensbereich in den letzten Jahren einige Verbesserungen umgesetzt hat, die in der Summe dem gefürchteten Anstieg der Altersarmut in den kommenden Jahren deutlich entgegenwirken werden. Neben der Grundrente sind dies die Mütterrente I und II und die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente (2014, 2018/19 und 2024), die sich bei unteren und mittleren Einkommen sehr positiv auswirken.
Quelle: http://www.wsi.de
Thema: Informationen | 30.08.2024 |