Ambulanter Lebensraum und Finanzierungsfragen in der Eingliederungshilfe – Herausforderungen und Perspektiven
In Deutschland leben knapp 473.000 Erwachsene mit Behinderung in Unterstützungsangeboten, die ihren Alltag und ihr Wohnen erleichtern – und rund 270.000 von ihnen arbeiten in Werkstätten. Diese Zahlen machen deutlich, wie groß der Bedarf an umfassender Hilfe ist, damit Menschen mit Behinderung selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Dirk Rist, LVR-Sozialdezernent und Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS), beobachtet schon seit längerem, dass der Unterstützungsbedarf kontinuierlich zunimmt – sowohl bundesweit als auch in Regionen wie dem Rheinland. Ein noch beeindruckenderes Bild zeigt sich bei den Ausgaben: Im Jahr 2023 flossen von allen Trägern bundesweit über 26 Milliarden Euro in die Unterstützung von Menschen mit Behinderung. Innerhalb von nur fünf Jahren ist das Budget um mehr als 30 Prozent gewachsen. In vielen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, werden diese Leistungen überwiegend aus den kommunalen Haushalten bestritten. Angesichts dieser Entwicklungen appelliert Rist an die neue Bundesregierung, sich mit gezielten Bundesmitteln an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu beteiligen und die Finanzierung grundlegend zu reformieren.
Obwohl die Zahl der Hilfesuchenden im Vergleich zum Vorjahr bundesweit nur um etwa zwei Prozent – bzw. im Verantwortungsbereich des LVR um einen Prozentpunkt – gestiegen ist, wirken sich gleichzeitig die gravierenden Kostensteigerungen deutlich aus. Vor allem höhere Lohn- und Sachkosten aufgrund von Tariferhöhungen sowie Inflation führen zu einer rund zehnprozentigen Ausgabenerhöhung. Auch die demografische Entwicklung und die damit verbundenen, intensiveren Unterstützungsbedarfe älter werdender Leistungsempfänger, speziell im pflegerischen Bereich, belasten den Kostenrahmen zusätzlich.
Ein kritischer Punkt in der aktuellen Debatte ist die geplante Deckelung der Pflegeversicherungsleistungen in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung. Ab 2025 soll dort ein Höchstbetrag von 278 Euro gelten – eine Regelung, die laut Rist zu einer ungleichen Behandlung führt und dringend einer Überprüfung bedarf.
Neben diesen Herausforderungen gibt es aber durchaus positive Entwicklungen: Der Ausbau ambulanter Unterstützungsangebote bringt den Betroffenen nicht nur mehr Selbstbestimmung, sondern reduziert auch die Kosten erheblich. Während die jährlichen Ausgaben für einen Platz in einer Wohneinrichtung im Schnitt bei etwa 48.400 Euro liegen, betragen die Kosten für ambulante Hilfe nur knapp 13.900 Euro. Bereits rund 60 Prozent der Menschen, die auf Assistenz angewiesen sind, leben bundesweit in ihren eigenen vier Wänden – im Rheinland profitieren sogar sieben von zehn Betroffenen von ambulanten Angeboten. Dies zeigt, dass individuelles Wohnen mit der richtigen Unterstützung nicht nur die Lebensqualität steigert, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
Insgesamt steht die Eingliederungshilfe an einem wichtigen Wendepunkt: Es gilt, einerseits den gestiegenen Bedarf und die damit verbundenen Kosten zu bewältigen und andererseits innovative und selbstbestimmte Wohnformen zu fördern. Die Zukunft in der Eingliederungshilfe wird maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, die Finanzierung nachhaltig zu sichern und dabei den Menschen mit Behinderung ein würdevolles, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns alle betrifft.
Quelle: http://www.lvr.de
Thema: Informationen Wohnformen | 25.04.2025 |