Die Unsicherheiten der Demenzprognosen: Ein kritischer Blick auf die Zahlen aus Bayern
Der Umgang mit den Fortschätzungen zukünftiger Demenzfälle in Bayern hat in den vergangenen Monaten für Aufregung gesorgt. Am 25. August sah sich die Süddeutsche Zeitung veranlasst, die Aussage von Gesundheitsministerin Judith Gerlach aufzugreifen, dass bis 2030 mit etwa 300.000 Demenzkranken in Bayern zu rechnen sei. Aktuell wird die Zahl der Demenzkranken im Freistaat auf circa 270.000 geschätzt, wobei Prognosen darauf hindeuten, dass diese bis 2040 sogar auf 380.000 ansteigen könnte. Ähnliche Meldungen verbreiteten auch N-TV, STERN.de und der Bayerische Rundfunk.
Doch wie genau sind solche Prognosen wirklich? Winston Churchill – oder vielleicht auch George Bernard Shaw oder Niels Bohr – wird mit dem Satz zitiert: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Das trifft auch auf die Vorhersagen zur Demenz zu, die durch diverse Unsicherheiten geprägt sind. Ein zentrales Problem liegt bereits in der aktuellen Schätzung von 270.000 Demenzkranken, die weit mehr eine Annäherung als eine präzise Zahl darstellt. Diese Zahl basiert auf einer Schätzung aus dem Jahr 2022, die sich auf epidemiologische Daten von 2021 stützt. Es handelt sich also um eine längst überholte Berechnung, die aus den relativen Häufigkeiten von Demenzerkrankungen in verschiedenen Altersgruppen und Geschlechtern abgeleitet wurde.
Die Verfahren, mit denen solche Zahlen zustande kommen, sind oft komplex. Mit einer multiplen Berechnung auf Basis der Bevölkerungsstruktur wird eine Schätzung angestellt, die auch die Anzahl der diagnostizierten Fälle bei gesetzlichen Krankenkassen mit einbezieht. Es bleibt jedoch fraglich, wie genau diese Ansätze sind, da sie auf vielen Annahmen beruhen – etwa über Geburtenraten, Sterberaten oder Zu- und Fortzüge – die in ihren Auswirkungen stark variieren können.
Erst kürzlich hat das Statistische Bundesamt darauf hingewiesen, dass die Bevölkerungsprognosen für 2040 in Bayern um bis zu eine Million Einwohner variieren könnten. Und auch die Annahme über die zukünftige Inzidenz von Demenzerkrankungen – also der jährlichen Neuerkrankungen – wirft Fragen auf. Hier wird oft ignoriert, dass es immer wieder Studien gibt, die darauf hinweisen, dass die Zunahme von Demenzerkrankungen möglicherweise langsamer verläuft als angenommen.
Das Gesundheitsministerium erinnert in seinem Bericht an diese Unsicherheiten, bleibt jedoch vage. Frühere Schätzungen haben sich als zu optimistisch erwiesen. So wurde bereits 2015 eine viel niedrigere Anzahl von Demenzkranken für das Jahr 2020 vorausgesagt, die inzwischen übertroffen wurde. Dabei bleibt unklar, ob die prognostizierte Zunahme der Demenzfälle wirklich nur auf das Altern und das Wachstum der Bevölkerung zurückzuführen ist.
In der Berichterstattung über diese Themen scheint es kaum Raum für kritische Prüfungen der Prognosen und deren Grundlagen zu geben. Medien scheinen oft entweder nicht über die nötige Expertise zu verfügen oder nicht bereit zu sein, die den Zahlen inhärente Unsicherheit zu thematisieren. Das Bayerische Gesundheitsministerium könnte hier mit einem transparenteren Umgang mit den Unsicherheiten und der Methodik der Prognosen ein Zeichen setzen.
Ein aktuelles Beispiel aus einer Simulationsstudie zur Zuckersteuer zeigt eindrücklich, wie stark Modellannahmen die resultierenden Werte beeinflussen können. Während eine frühere Studie mit konkreten Einsparungen für Aufsehen sorgte, wird in der neuen Studie klargestellt, dass diese Zahlen stark von den zugrunde liegenden Annahmen abhängen. Leider blieb diese Nuancierung in der medialen Aufbereitung weitgehend unberücksichtigt.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die Prognosen über die Zunahme von Demenzfällen in Bayern sind höchst fragwürdig, und es ist an der Zeit, dass sowohl Medien als auch Politikkreise sich dieser Unsicherheiten bewusst werden und transparenter damit umgehen. In einer Zeit, in der unser Gesundheitswesen zunehmend auf präzise Daten angewiesen ist, ist eine kritische Reflexion über solche Schätzungen unerlässlich.
Quelle: http://www.rwi-essen.de
Thema: Informationen Gesundheit | 10.09.2024 |