Disability Studies in Hamburg und Köln vor dem Aus
An den Universitätsstandorten Hamburg und Köln stehen zentrale Einrichtungen im Bereich der Disability Studies vor dem Ende. In beiden Fällen ist unklar, ob die bestehenden Strukturen über den Herbst hinaus weitergeführt werden können. Hintergrund sind angekündigte Kürzungen im Wissenschaftsetat, die besonders kleinere, kritisch ausgerichtete Forschungsbereiche treffen. Während das Zentrum für Disability Studies und Teilhabeforschung in Hamburg sowie die Internationale Forschungsstelle für Disability Studies in Köln bisher eine wichtige Rolle in Forschung und wissenschaftlicher Vernetzung gespielt haben, droht ihnen nun das Aus – und mit ihnen eine der wenigen institutionellen Verankerungen der Disziplin im deutschsprachigen Raum.
Disability Studies haben sich als Forschungsfeld etabliert, das gesellschaftliche Vorstellungen von Behinderung nicht als rein medizinisches oder individuelles Problem interpretiert, sondern als Ergebnis sozialer, kultureller und politischer Bedingungen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Strukturen des Alltags – etwa im Bildungsbereich, im Arbeitsleben oder im öffentlichen Raum – zur Ausgrenzung oder Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen beitragen. Das Konzept von Behinderung wird in diesem Zusammenhang nicht als statisch oder naturgegeben verstanden, sondern als gesellschaftlich geformt. Damit setzen Disability Studies auf eine Analyse, die nicht bei individuellen Einschränkungen stehen bleibt, sondern systemische Ursachen und Machtverhältnisse in den Blick nimmt.
Zudem arbeiten viele Projekte innerhalb der Disability Studies partizipativ: Menschen mit und ohne Behinderung forschen gemeinsam, bringen unterschiedliche Perspektiven ein und gestalten den Forschungsprozess gleichberechtigt. Diese Form der Zusammenarbeit trägt dazu bei, bisher wenig beachtete Barrieren sichtbar zu machen – sei es im Alltag, in Behörden oder im Zugang zu Bildungsangeboten. Die Einbindung eigener Erfahrung gilt dabei nicht als subjektive Einschränkung wissenschaftlicher Qualität, sondern als methodische Erweiterung.
Trotz dieser Ansätze fehlt es in Deutschland bislang an einer dauerhaften institutionellen Verankerung der Disability Studies. Die wenigen bestehenden Professuren oder Forschungsstellen sind oft befristet, projektbasiert oder in ihrer Ausrichtung begrenzt. Auch Studiengänge mit explizitem Schwerpunkt auf Disability Studies existieren bislang nicht. Das unterscheidet die Situation deutlich von Ländern wie Großbritannien oder den USA, wo das Feld sowohl in Forschung als auch in Lehre stärker etabliert ist.
Vor diesem Hintergrund wird die drohende Schließung der Einrichtungen in Hamburg und Köln von Fachkreisen als ein besonders schwerwiegender Rückschlag bewertet. Kritische Stimmen aus der Wissenschaft sehen darin nicht nur ein Sparvorhaben, sondern auch eine gesellschaftspolitische Verschiebung: Themenfelder wie Disability Studies, Queer Studies oder Rassismusforschung geraten zunehmend unter Druck – auch durch mediale und politische Kampagnen, die diese Disziplinen als ideologisch motiviert diskreditieren wollen.
Befürworterinnen und Befürworter der Disability Studies betonen, dass das Forschungsfeld einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung von Inklusion leistet – etwa im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Gerade in der Analyse gesellschaftlicher Ausschlüsse und in der Formulierung inklusiver Alternativen sehen viele die Stärke der Disziplin. Gleichzeitig wird kritisiert, dass politische Zusagen zu Teilhabe und Barrierefreiheit im Bildungssystem häufig nicht mit konkreten Maßnahmen oder finanziellen Ressourcen unterlegt werden.
Um auf die aktuelle Situation aufmerksam zu machen, wurden Petitionen gestartet und Stellungnahmen veröffentlicht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie zivilgesellschaftliche Gruppen fordern eine dauerhafte Absicherung und strukturelle Stärkung der Disability Studies in Deutschland. Sollte es zu weiteren Kürzungen kommen, so der Tenor, drohe nicht nur der Verlust zweier bedeutender Einrichtungen, sondern eine erhebliche Schwächung eines gesamten Forschungsfeldes, das für eine inklusive Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist.
Thema: Informationen | 26.09.2025 |