05.05.2023
Pflegenotstand in Deutschland - ein Haftungsrisiko?
Prof. Dr. Dagmar Felix legt einleitend dar, dass sich der Mangel an Pflegefachkräften als erhebliche Belastung für Pflegeeinrichtungen erweist. Angesichts der Tatsache, dass ambulante Pflegedienste zunehmend Anfragen von pflegebedürftigen Menschen ablehnen müssen und Pflegeplätze in stationären Einrichtungen nicht belegt werden können, könnte der Personalmangel gerade angesichts des prognostizierten Bedarfs bis zum Jahr 2035 zukünftig die pflegerische Versorgung in Deutschland insgesamt gefährden.
Obwohl das SGB XI - anders als das SGB V - eine ganze Reihe von Geldleistungen vorsieht, müssen zentrale Leistungen als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden. Das gilt sowohl im Bereich der häuslichen Pflege nach § 36 SGB XI als auch im Rahmen der vollstationären Pflege nach § 43 SGB XI. § 69 SGB XI normiert den Sicherstellungsauftrag der Pflegekassen, die im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten haben.
Zur Erfüllung ihres Sicherstellungsauftrags schließen die Pflegekassen Versorgungsverträge und Vergütungsvereinbarungen mit den Trägern von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sowie sonstigen Leistungserbringern. Wo es infolge des Mangels an Pflegefachkräften keine Einrichtungen mehr gibt oder diese nur eingeschränkt leistungsfähig sind, haben die Pflegekassen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis ein Problem: Der Versicherte hat einen sozialrechtlichen Leistungsanspruch, den die Pflegekasse nicht erfüllen kann. Die Autorin erläutert im nächsten Abschnitt den Anspruch auf Sachleistungen und befasst sich mit Fragen der Leistungsstörung. Dabei arbeitet Felix heraus, dass § 13 Abs. 3 SGB V dem Pflegebedürftigen eine Art sekundären Anspruch zu seinen Gunsten eröffnet: Die Bestimmung eröffnet einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch (hierzu BSG, Urteil vom 16.12.1993 - 4 RK 5/92).
Ferner setzt sich die Autorin mit staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen auseinander (hierzu BGH, Urteil vom 20.10.2016 - III ZR 278/15). Er zeigt auf, dass die rechtlichen Konsequenzen einer Nichterfüllung der Sachleistungsansprüche nach Maßgabe des SGB XI sich letztlich nur aus dem in Art. 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG normierten Amtshaftungsansprüche ergeben können. Felix skizziert im Folgenden die Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen. Sie geht auf das Erfordernis der Verletzung einer Amtspflicht in Ausübung eines öffentlichen Amts ein und befasst sich mit der Drittbezogenheit der Amtspflicht. Ausführungen zum Verschulden sowie zum kausal verursachten Schaden schließen sich an. Die Autorin zeigt auf, dass der Verdienstausfall der Angehörigen, die die Pflege selbst übernehmen müssen, ein kausal verursachter Schaden ist. Abschließend geht die Autorin auf Haftungsbeschränkungen ein. Wer es unterlässt, die Beeinträchtigung seines pflegeversicherungsrechtlichen Leistungsanspruchs durch Geltendmachung von Rechtsbehelfen zu verhindern, verliert seinen Anspruch.
Erschienen in: NZS 2023 Heft 8, 281 - 286
Thema: Informationen | 05.05.2023 |
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