Vorzeitige Bundestagswahlen: Forderungen des DBSV an die Parteien
Nach dem Ende der Ampelkoalition hat Bundeskanzler Olaf Scholz gestern im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt. Damit ist der Weg frei für vorgezogene Bundestagswahlen am 23. Februar 2025. Aus diesem Anlass veröffentlicht der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) seine Forderungen an die kandidierenden Parteien. Der Verband erwartet von der künftigen Bundesregierung, dass sie sich uneingeschränkt für den Schutz und die Garantie der Rechte von Menschen mit Behinderungen stark macht. Behindertenpolitik ist keine soziale Wohltat, sondern muss als Menschenrechtspolitik verstanden werden und Chancengleichheit sicherstellen.
Ein zentrales Anliegen des DBSV ist die Barrierefreiheit. Diese muss endlich überall zum Standard werden. Barrierefreiheit ist nicht die nächste lästige Pflicht, die der Wirtschaft auferlegt wird, sondern eine Notwendigkeit und Chance für unser Land. Sie muss gesetzlich verankert, konsequent umgesetzt und gefördert werden. Weitere wichtige Punkte betreffen den besseren Schutz vor Diskriminierung, das Gewährleisten einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung und Rehabilitation, Maßnahmen für mehr Teilhabe am Arbeitsleben, den Zugang zu Mobilität und kulturellen Angeboten sowie Regelungen zu Nachteilsausgleichen.
Am 23. Februar 2025 finden vorgezogene Bundestagswahlen statt. In einer Zeit, die von globalen und innerstaatlichen Herausforderungen geprägt ist, erwartet der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) von der künftigen Bundesregierung, dass sie sich uneingeschränkt für den Schutz und die Garantie der Rechte von Menschen mit Behinderungen stark macht. Behindertenpolitik ist keine soziale Wohltat, sondern muss als Menschenrechtspolitik verstanden werden und Chancengleichheit sicherstellen.
Wir sind überzeugt, dass die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit nur lauten kann: Barrierefreiheit und Inklusion jetzt! Folgende Aufgaben müssen dringend aktiv angegangen werden:
Barrierefreiheit ist zentral, um selbstbestimmt und möglichst eigenständig leben und chancengleich teilhaben zu können. Barrierefreiheit gewinnt mit Blick auf die wachsende Zahl älterer und damit beeinträchtigter Menschen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel zusätzlich an Bedeutung. Barrierefreiheit ist nicht die nächste lästige Pflicht, die der Wirtschaft auferlegt wird, sondern Notwendigkeit und Chance für unser Land. Deshalb muss Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen endlich zum Standard werden – vom digitalen Raum über das Wohnen einschließlich der Haushaltsgerätetechnik bis zum Katastrophenschutz.
Blinde und sehbehinderte Menschen werden gebraucht, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Der DBSV fordert, dass beruflich genutzte Software und digitale Anwendungen barrierefrei sein müssen, damit sie von blinden und sehbehinderten Menschen genutzt werden können. Die überregionalen spezialisierten Kompetenzzentren der beruflichen Rehabilitation für blinde und sehbehinderte Menschen bündeln das Know-how für diese spezifische Gruppe der Erwerbstätigen, damit sie die notwendige Unterstützung erhalten, um ihr Potenzial im Arbeitsleben entfalten zu können. Diese Einrichtungen müssen als Teil der notwendigen Infrastruktur anerkannt und unabhängig von konkreten Fallzahlen finanziell abgesichert werden. Bei der Novellierung der gesetzlichen Regelungen für die Ausbildung von Masseuren und Physiotherapeuten ist sicherzustellen, dass der Zugang für blinde und sehbehinderte Menschen im bisherigen Umfang erhalten bleibt. Eine Vollakademisierung lehnt der DBSV strikt ab. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und die begleitenden Hilfen im Arbeitsleben müssen modernen Anforderungen besser gerecht werden. Das erfordert insbesondere eine zügigere und unbürokratischere Bewilligung benötigter Unterstützungsleistungen, wie Hilfsmittelausstattungen oder Assistenzen. Insbesondere wird die behördliche Praxis bei der Bewilligung von Arbeitsassistenz den Erfordernissen blinder und sehbehinderter Menschen nicht mehr gerecht. Der Bund muss deshalb von seiner Berechtigung Gebrauch machen, per Erlass einer Rechtsverordnung die Arbeitsassistenz zeitgemäß auszugestalten.
Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen sind Realität und die Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, sind unzureichend. Der DBSV fordert, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) endlich reformiert wird. Die Missachtung der Pflicht zur Barrierefreiheit und die Versagung angemessener Vorkehrungen zur Überwindung von Barrieren im Einzelfall sind als Diskriminierungstatbestände anzuerkennen. Bisher zulässige Rechtfertigungsgründe für eine ungleiche Behandlung sind einzuschränken. Die Rechte aus dem AGG müssen verbandsklagefähig werden.
Noch immer haben Menschen mit Behinderungen keinen gleichwertigen Zugang zu allgemeinen und speziell wegen ihrer Behinderung erforderlichen Gesundheitsleistungen. Der DBSV fordert, dass der Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen, der in der 20. Legislaturperiode aufgestellt wurde, umgesetzt und partizipativ weiterentwickelt wird. Eine qualitätsgesicherte, flächendeckende und bedarfsgerechte augenärztliche Versorgung muss sichergestellt werden, auch für Menschen im ländlichen Raum und für Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben. Für ausreichend Fachkräfte im augenmedizinischen Bereich ist zu sorgen. Augenerkrankungen treten vor allem im hohen Alter auf. Durch die demographische Entwicklung steigt die Zahl von Erblindungen und Sehbeeinträchtigungen überproportional. In der Augenheilkunde muss die Forschung deutlich intensiviert werden, um Sehverlust mithilfe besserer Präventions-, Diagnose- und Therapieverfahren möglichst zu vermeiden. Dafür ist ein Deutsches Zentrum für Gesundheitsforschung für die Augenheilkunde zu gründen und finanziell angemessen auszustatten. Der umfassende und barrierefreie Zugang zur elektronischen Patientenakte und den darauf gespeicherten Informationen, zu allen elektronischen Anwendungen – wie dem E-Rezept – und zu durch die gesetzlichen oder privaten Krankenkassen finanzierten digitalen Gesundheitsanwendungen und -leistungen muss gewährleistet sein. Alle Leistungserbringer (u. a. Ärzte, Kliniken, Therapeuten, Apotheken) müssen verpflichtet werden, ihre digitalen Informationen und Dienstleistungen ausschließlich barrierefrei anzubieten.
Rehabilitation ist ein wesentlicher Schlüssel zu Selbstbestimmung und Teilhabe. Sie erleichtert den Umgang mit einem Sehverlust und reduziert negative Folgen, wie Abhängigkeit von fremder Hilfe, das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, Pflegebedürftigkeit und das Entwickeln weiterer Gesundheitsprobleme. Für Menschen mit fortschreitendem oder plötzlich eingetretenem Sehverlust gibt es bislang keine ausreichende rehabilitative Versorgung. Der DBSV fordert, dass eine medizinische Rehabilitation bei Sehverlust einschließlich umfassender Beratung etabliert wird. Das schließt die Förderung von Pilotprojekten zur konkreten Ausgestaltung der angestrebten Rehabilitationsleistungen ein. Die Ausbildung von Rehabilitationsfachkräften für blinde und sehbehinderte Menschen muss – ähnlich wie im Falle der Pflege und Gesundheitsberufe – aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, um dem Fachkräftemangel in diesem Bereich abzuhelfen.
Behinderungsbedingte Unterstützungsleistungen gleichen Nachteile aus. Der DBSV fordert, dass der Europäische Behindertenausweis zügig eingeführt wird. Alle Teilhabeleistungen müssen ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen erbracht werden. Entgegenstehende Regelungen, insbesondere bei der Eingliederungshilfe und Blindenhilfe, sind aufzuheben. Sofern die Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen im SGB VIII erfolgt, muss die Reform zwingend dazu führen, die Teilhabemöglichkeiten aller jungen Menschen mit Behinderungen und ihrer Familien substanziell zu verbessern. Dafür sind entsprechende finanzielle Mittel bereitzustellen. Keinesfalls darf es im Zuge der Reform zu Zugangseinschränkungen, Leistungseinschränkungen, Qualitätsminderungen oder höheren Kostenbeteiligungen als bisher kommen. Erzieherische Hilfen und behinderungsbedingt notwendige Teilhabeleistungen dürfen nur bei Bedarf miteinander gekoppelt werden. Probleme bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes sind zu beheben. Dabei dürfen die erforderlichen Leistungen an behinderte Menschen zur Gewährleistung ihres Rechts auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr muss der Zugang zu Leistungen durch den Abbau bürokratischer Hürden erleichtert werden. Es ist gesetzlich abzusichern, dass die bundesgesetzlichen Regelungen so angewendet werden müssen, dass einheitliche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland gewährleistet werden.
Blinde und sehbehinderte Menschen müssen inklusiv an kulturellen Angeboten partizipieren können. Der DBSV fordert, dass bei der Filmförderung sichergestellt wird, dass barrierefrei produzierte Filmfassungen mit Audiodeskription auf allen Ebenen der Verwertung für Endverbraucher zur Verfügung stehen müssen. Kulturförderungen des Bundes, z. B. für Museen, müssen an Teilhabemöglichkeiten für alle Menschen geknüpft werden, auch im digitalen Raum. Die Teilhabeempfehlungen für eine inklusive Kultur, die im Dezember 2024 vom Bundesbehindertenbeauftragten und dem Deutschen Kulturrat an die Bundesregierung und das Parlament übergeben wurden, müssen umgesetzt werden.
Bedeutende Regelungen der vergangenen Jahre für die gleichberechtigte Teilhabe gehen auf europäische Initiativen zurück. Deutschland muss seiner Verantwortung in Europa gerecht und Schrittmacher für eine gute Teilhabepolitik werden. Der DBSV fordert, dass Deutschland die Umsetzung der aus der Behindertenrechtsstrategie 2021-2030 abgeleiteten Initiativen aktiv voranbringt und sich für die Verabschiedung der 5. Antidiskriminierungsrichtlinie einsetzt.
Nichts über uns ohne uns! Bei der Entscheidung, wie die Teilhabe behinderter Menschen konkret verbessert werden kann, braucht es die Expertise von uns behinderten Menschen selbst. Daher fordert der DBSV, dass unsere Welt inklusiver und für alle Menschen chancengleich gestaltet wird. Um Politik und Wirtschaft dabei auf Augenhöhe unterstützen zu können, brauchen Behindertenorganisationen Ressourcen. Der Partizipationsfonds auf Bundesebene ist deshalb zu stärken und weiterzuentwickeln. Ziel muss sein, auch kontinuierliche Förderungen zu erlauben, so dass insbesondere das Sekretariat des Deutschen Behindertenrates dauerhaft gefördert werden kann. An allen Vorhaben der Bundesregierung, die Menschen mit Behinderungen betreffen können, sind wir barrierefrei und mit angemessenen Fristen zu beteiligen. Innerhalb der Bundesregierung braucht es eine starke Stimme für die Belange behinderter Menschen. Das Amt des Behindertenbeauftragten hat sich bewährt und muss weiter gestärkt werden, etwa in Bezug auf die Ressourcen der Schlichtungsstelle und die Einflussmöglichkeiten des Beauftragten auf die Bundesregierung. Die Bundesinitiative Barrierefreiheit muss verstetigt werden.
Quelle: http://www.dbsv.org
Thema: Informationen Gesundheit | 13.01.2025 |